Die Privatisierung Ostdeutschlands: Wiedervereinigung und Immobilienpolitik
Ben Gook (AU/DE)
In einem Aufsatz von 2015 schrieb Frederic Jameson: „In unserer Zeit dreht sich alles um Immobilien.“ Jamesons hellsichtiges Fazit liest sich im Kontext der Botschaft besonders einleuchtend — ein Stück Land, das dem australischen Staat, dann der DDR, dann der Bundesrepublik Deutschland (der Treuhand, siehe unten), dann privaten Eigentümern, Immobilienentwickler*innen und arbeitenden Künstler*innen übergeben wurde. Jameson fährt fort, die Verschiedenheit dieser ‚Immobilienpolitik‘ aufzulisten, die „von der höchsten Staatskunst bis zum kleinsten Manöver um den lokalen Vorteil reicht. Postmoderne Politik ist im Wesentlichen eine Frage der Landnahme, sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene. Ob man nun an Palästina denkt oder an die Gentrifizierung und Zonierung in amerikanischen Kleinstädten, es geht um diese eigenartige und imaginäre Sache namens Privateigentum von Land . . . die auf dem Spiel steht.“ Innerhalb des Kapitalismus, so Jameson weiter, „ist das Land nicht nur ein Objekt des Kampfes zwischen den Klassen, zwischen Arm und Reich; es definiert ihre Existenz und die Trennung zwischen ihnen. Der Kapitalismus begann mit der Einhegung und der Besetzung der Azteken- und Inkareiche; und er endet mit Zwangsvollstreckung und Enteignung, mit Obdachlosigkeit sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene und mit der durch Sparmaßnahmen und Outsourcing diktierten Arbeitslosigkeit, der Stilllegung von Fabriken und Rostgürteln (rust belts).“
1989 markiert einen gewissen Wendepunkt in der langen Geschichte der kapitalistischen Landnahme. Der Zusammenbruch der europäischen sozialistischen Staaten bedeutete, dass das „eigentümliche und imaginäre Privateigentum von Land“ ein aufgezwungener und notwendiger Schritt des ‚Übergangs‘ zu kapitalistischen Staatsformationen wurde. Die Privatisierung in Deutschland nach 1989 richtete sich auf alles, von Lagerhäusern über Wälder und Krankenhäuser, Mehrfamilienhäuser und Eisenbahnen — bis hin zu ehemaligen Botschaften. Es ging um die Privatisierung von Grundstücken und die Einführung marktwirtschaftlicher Mechanismen sowohl in Unternehmen als auch in den neu entstehenden Märkten.
Die westdeutsche Tendenz, eine neoliberale Wirtschaftspolitik zu fördern verstärkte sich durch die Wiedervereinigung — im Sinne einer Etablierung marktwirtschaftlicher Modi der Ökonomisierung, Berechnung, Messung und extrinsischen Bewertung in immer mehr Bereiche, sodass die Logik des Wettbewerbs schließlich auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens Einzug hielt. Subjekte, Unternehmen, Nationen sollten in Wettbewerb miteinander stehen: jeder gegen jeden, als private, individuell agierende Einheiten. Als sich der Neoliberalismus in Deutschland einschlich, wie auch in andere Staaten mit einer wettbewerbsfähigen ‚Workfare‘, wurde die deutsche Sozialpolitik den Erfordernissen der Arbeitsmarktflexibilität und des ‚internationalen Wettbewerbs‘ untergeordnet. Mit anderen Worten, es etablierte sich der Grundsatz, Geschäftsstrategien auf den Staat zu übertragen und Bürger*innen durch strafrechtliche Disziplinierung in selbstverantwortliche, makroökonomische Einheiten zu formen. Diese Strategie hat sich seit 1989 in unterschiedlicher Weise manifestiert — gedeckelte Löhne, Kürzungen der Sozialausgaben für Arbeitslose und zunehmend ‚flexible‘ Arbeitsplatzregelungen. Alle Subjekte im wiedervereinigten Deutschland wurden der Selbstverwaltung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, ihrer Schulden, ihres geringeren Einkommens und der Ödnis der sich zunehmend verschmälernden Sozialleistungen überlassen. Privatisierung ist tatsächlich die Parole dieser postsozialistischen Ära: ein Begriff mit Hilfe dessen wir im Allgemeinen auch über das gesellschaftliche Leben nachdenken können, nicht nur über die Wirtschaft oder die Eigentumsverhältnisse. Seit 1989 verbinden wir Privatisierung im weitesten Sinne mit dem neoliberalem Kapitalismus: dem langsamen, selektiven Verfall der Gemeinnützigkeit — dies betrifft öffentliche Räume, staatliche Investitionen, staatliche Schulen und vieles Weitere.
Zwei Schlüsselaspekte des in Erscheinung tretenden Neoliberalismus in der deutschen Übergangspolitik waren zum Einen die Treuhandanstalt, die für die Privatisierung des gesellschaftlichen ostdeutschen Vermögens zuständig war, und zum Anderen die weit verbreitete Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung nach 1990. Die Treuhandanstalt war als Institution für die Veräußerung des Volksvermögens der DDR zuständig. Eine Zeit lang war sie das größte Industrieunternehmen der Welt: verantwortlich für den Verkauf von Staatsbetrieben der DDR mit vier Millionen Beschäftigten, sowie Agrarflächen, Wäldern, Stasi-Grundstücken, Sozialwohnungen und medizinischen Einrichtungen. Die Treuhand war für rund 1.700.000 ha Land zuständig. Insgesamt hielt die Treuhand rund 12.000 Unternehmen: 7853 wurden privatisiert, davon gingen 1600 an ihre früheren Eigentümer, 261 an Kommunen, 2700 an ehemalige Mitarbeiter*innen oder Führungskräfte und 3713 wurden geschlossen.
Der Zweck der Treuhand änderte sich über die Jahre. Sie wurde vor der Wiedervereinigung im März 1990 gegründet, als eine liberalisierende DDR-Regierung begann, die Eigentumsrechte, insbesondere in den Bereichen Industrie, Finanzen und Landwirtschaft neu zu definieren. Kurz nach dem Fall der Mauer diskutierten DDR-Ökonom*innen, Aktivist*innen und Politiker*innen inmitten der aussichtslosen Wirtschaftslage über neue ökonomische Ansätze. Die ehemalige DDR übertrug das Volkseigentum in einen öffentlichen Fond, der von dieser Anstalt beaufsichtigt wurde. Es wurde zunächst angestrebt, dass die Treuhand Funktionär*innen davon abhalten sollte, DDR-Vermögen für private Zwecke zu veräußern oder zu horten — und tatsächlich war diese Maßnahme im Vergleich zu anderen postsozialistischen Staaten sehr erfolgreich. Es war allerdings angedacht, dass die Treuhand viel mehr leisten sollte, als lediglich als Anti-Korruptionsinstrument zu fungieren. In der Anfangszeit der Treuhand wurden verschiedene Vorschläge unterbreitet. So überlegte man zum Beispiel, Anteile dieses Gemeineigentums gleichmäßig an die ostdeutschen Bürger*innen zu übertragen oder einige Unternehmen zu privatisieren und andere wiederum an neue Landesregierungen oder Stiftungen zu übergeben. Derartige Vorschläge zu einer ‚Coupon-Privatisierung‘ wurden von der letzten sozialistischen DDR-Regierung abgelehnt, da diese Ansätze nicht im Stande gewesen wären, dringend benötigtes (ausländisches) Kapital in die maroden Staatsbetriebe zu pumpen. Nach der Wiedervereinigung im Oktober 1990 übernahmen westliche Bürokraten die Treuhand und verlagerten ihren Aufgabenbereich weiter: von einer DDR-Stiftung zur Verhinderung des Ausverkaufs von DDR-Vermögenswerten zu der Bundesanstalt des Ausverkaufs. Bis 1994, als die Agentur aufgelöst wurde, hatten die neuen Unternehmenseigentümer*innen 2,5 Millionen Mitarbeiter*innen entlassen. Die öffentlichen Ausgaben machten von 1992 bis 1993 noch 80 % der Wirtschaft im Osten aus — eine Statistik, die nahelegt, dass bis dahin politisch-ideologische Dringlichkeiten weiterhin die Vorherrschaft gegenüber der rein ökonomischen Ratio der weitreichenden Privatisierung des ehemaligen Ostens innehielten. Die staatlichen Mittel, die für Arbeitslosigkeit, Sozialversicherungen und den Arbeitsmarkt eingesetzt wurden, machten fast ein Fünftel des Haushalts im Osten aus. Von 1989 bis 1993 ging ein Drittel der Arbeitsplätze durch Privatisierung verloren. In der Fertigungsindustrie stieg dieser Anteil auf drei Viertel aller Arbeitsplätze. Die offene und verdeckte Arbeitslosigkeit lag bei etwa 30-35%: eine Statistik, die Vergleiche an die Weltwirtschaftskrise oder an Griechenland um 2013 nahelegt. Die Treuhand war der wichtigste, wenn auch umstrittene Mechanismus, um sich ehemaliger ostdeutsche Arbeitskräfte zu entledigen.
Angesichts des Ausmaßes der Arbeitsplatzverluste führte diese Privatisierung zu einem Widerstand, der über die Gewerkschaften hinaus reichte. 1991 wurde der Vorsitzende der Treuhand ermordet. Der Attentäter blieb unbekannt, aber viele gehen davon aus, dass es sich um einen Angehörigen der Roten Armee Fraktion oder einen ehemaligen Stasi-Mitarbeiter handelt. Diese Verbindungen mag man bezweifeln, und dennoch kann das Attentat als eine agitierte Antwort auf die dem ehemaligen Osten stark verabreichte wirtschaftliche Medizin begriffen werden. Die Arbeiter*innen in den neuen Bundesländern unterlagen einem Arbeitsmarkt, der sich deutlich von dem eines verhandelten Korporatismus der westdeutschen Nachkriegszeit unterschied: Sie wurden Teil eines wirtschaftlichen Experiments, das schon bald seinen Weg in den Westen finden sollte. In den letzten Jahren bezeichnete die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, eine Gruppe heterodoxer deutscher Ökonomen, die Errungenschaften der Treuhand als „entschädigungslose Enteignung“. Es wird immer noch offen darüber diskutiert, ob dadurch nicht ein neuer Mezzogiorno geschaffen wurde: Einige Mainstream-Ökonomen vertreten gegenwärtig die Position, West- und Ostregionen seien so unterschiedlich, dass es tatsächlich fehlerhaft wäre, diese Regionen als einheitlichen deutschen Arbeitsmarkt zu betrachten.
Der undemokratische top-down Prozess der Privatisierung führte die Ostdeutschen in die politisch-wirtschaftliche Rationalität des (west)deutschen Kapitalismus ein. Diese restriktive Wirtschaftspolitik hat Deutschland auch in der jüngsten Vergangenheit auf die Wirtschaft der Eurozone und der EU-Regierung angewandt: genauer gesagt sind hier hohe Arbeitslosenraten als ‚Preis‘ für wirtschaftliche Disziplin gemeint. Seit 2010 haben Deutschland und die EZB Griechenland und andere Staaten wiederholt aufgefordert, einen Teil ihrer Land- und Staatsunternehmen zu privatisieren, um die Staatsverschuldung zurückzuzahlen, trotz der wirtschaftlichen Logik solcher Verkäufe — „fiskales Waterboarding“ wie es Varoufakis so denkwürdig umschrieben hatte. In einer ganz besonders herablassenden Episode schlugen CDU-Politiker Josef Schlarmann und FDP-Politiker Frank Schaeffler der Bild-Zeitung vor, dass Griechenland in Erwägung ziehe solle, einige seiner Inseln sowie die Akropolis und das Parthenon zu verkaufen. Die ‘Immobilienpolitik’ tritt hier so ungeschönt zu Tage, dass selbst Symbole der Demokratie pfändbar werden.
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Der deutsche Übergang verlief zwar ähnlich wie bei anderen postsozialistischen Nationen, war aber angesichts der Rolle Westdeutschlands anders ausgeprägt. Das Zusammentreffen der Außen- und Innenpolitik in der Endphase des Kalten Krieges spielten ebenfalls eine Rolle. Damit war die DDR die einzige postsozialistische Nation, die innerhalb der Grenzen von einem Nation-Staat zu einem bestehenden kapitalistischen Staat „überging“. Sie überführte eine ganze Bevölkerung in die nach 1945 aufgebaute institutionalisierte Gesellschaftsordnung Westdeutschlands. Während also andere postsozialistische Staaten den Kapitalismus ohne Kapitalisten machten, sah Ostdeutschland eine Flut westdeutscher Technokraten in seine Institutionen fließen. Das Novum besteht also im Institutionentransfer — der Übertragung einer bestehenden westdeutschen institutionellen Struktur, mit ihrer ausgeprägten normativen Topographie, in den ehemaligen Osten.
Nichts davon ließ sich im Jahr 1989 vermeiden. Wie bei anderen Nationen entlang der Ostgrenze war der Weg des sich auflösenden ostdeutschen Sozialismus 1989 unklar und das gesamte Ausmaß des Übergangs wurde verdrängt. Die Wiedervereinigung hatte den Anschein eines Schicksalsschlags angenommen, anstelle des politischen Kampfes, der damals tatsächlich ausgerungen wurde. Die Standardgeschichte der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten — die jedes Jahr im Oktober und November gefeiert wird — gibt vor, dass sich im Übergang vom geteilten zum wiedervereinigten Deutschland gleichsam der Umbruch von der archaischen Wirtschaftsweise des Ostens und dessen ideologisch geschlossenen Gesellschaft hin zu effizienten Märkten und Demokratie vollzog, und zwar unter Beihilfe der ‚Expertise‘ des Westens. Die Realität ist jedoch viel komplizierter als es dieses Narrativ vorzugeben scheint. Anhaltend niedrige Produktivität, anhaltende Arbeitslosigkeit und wiederholte Krisen in den neuen Bundesländern sowie eigennütziges westliches Engagement und vor allem ideologische Experimente mit menschlichen Folgen — dies waren kaum die Forderungen der Bürgerbewegungen in Ostdeutschland um 1989. Diese waren nachweislich enttäuschend für diejenigen, die auf die Straße gingen, um Veränderungen zu fordern.
Die aktuellen Trennlinien in Deutschland verlaufen entlang verschiedener Bruchlinien, die sich unter dem Begriff des ‚Grundbesitz‘ subsummieren und ebenso zunehmende Einkommens- und Vermögensungleichheiten sowie regionale Unterschiede miteinbeziehen. Die soziale Marktwirtschaft in Westdeutschland ist heutzutage ein selbstgefälliger, politischer Mythos: statistische Erhebungen weisen darauf hin, dass Deutschland heute zu den Staaten mit der höchsten sozialen Ungleichheit in Europa zählt. Deutschlands ‚Powerhouse-Status‘ in der EU verdeckt seine tatsächliche Schwäche. Zwischen 1993 und 2010 schlug der westdeutsche Arbeitsmarkt um von schrumpfenden Beschäftigungszahlen mit steigenden Reallöhnen in wachsende Beschäftigungsraten, insbesondere im Teilzeitsektor, mit sinkenden Reallöhnen. Im Jahr 2013 stellte die Bundesanstalt für Arbeitsforschung fest, dass 25 Prozent der deutschen Arbeitnehmer*innen weniger als 9 Euro pro Stunde verdienen, also weniger als zwei Drittel des Bundesdurchschnitts. Die geographischen Ungleichheiten des wirtschaftlichen Wandels in dieser Zeit sind eklatant. Das Armutsniveau lag nach Messungen des Paritätischen Gesamtverbandes im Jahr 2015 in allen ostdeutschen Ländern über dem Bundesdurchschnitt von 15,7%. Die wenigen im Osten angesiedelten Produktionsstätten westdeutscher oder europäischer Unternehmen (nur 5% der 700 größten deutschen Unternehmen haben dort ihren Sitz) werden von westdeutschen Manager*innen mit immer älter werdenden Ex-DDR Arbeitskräften und durch EU-Arbeitsagenturen vermittelte Arbeiter*innen geführt. Das Gleiche gilt für ostdeutsche Universitäten, die heutzutage mit größtenteils westdeutschen Professor*innen besetzt sind, was eindeutige Konsequenzen für die Bandbreite an institutionell zulässigen Vorgängen mit sich bringt. Gesellschaftliche Verdrängung war für die Ostdeutschen eine erhebliche Belastung, brachte sie doch die örtliche Verlagerung des Arbeitsplatzes, der sozialen Bindungen und des Wohnungsortes mit sich.
Ende 1993 waren nur noch 29% der im November 1989 Beschäftigten im selben Unternehmen tätig — ein Schock für die Gemeinden im Osten, in denen Arbeitsplätze vormals über sozialistische Brigaden organisiert und einen wichtigen Ort der Gemeinschaft und Freizeitgestaltung darstellten. Die Verdrängung traf Frauen besonders heftig: Innerhalb von vier Jahren nach der Wiedervereinigung war die Arbeitslosenrate unter Frauen doppelt so hoch wie unter Männern. Diese Transformation brachte weitere Folgen mit sich. Kurz nach der Wiedervereinigung sahen sich die ehemaligen Vertragsarbeiter*innen im Osten — häufig aus anderen sozialistischen Staaten (z.B. Kuba, Vietnam, Angola) — mit Abschiebung, verändertem Aufenthalts- und Arbeitsstatus konfrontiert. Innerhalb der sich rasch verändernden sozialen Landschaft und des unerbittlichen Konkurrenzkampfes um Arbeitsplätze setzte sich eine entfesselte Fremdenfeindlichkeit am Arbeitsplatz als auch auf den Straßen frei. Ihrer eigenen Logik nach zufolge war die Treuhand unglaublich erfolgreich, denn die DDR wandelte sich in wenigen Jahren von einer Staats- zu einer vorwiegenden Privatwirtschaft. Unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Folgen und der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit scheiterte sie jedoch drastisch — und ich würde zusammenfassend behaupten, dass sich ihre Auswirkungen noch heute auf politischer Ebene zeigen.
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Nachdem die Treuhand 1994 eingestellt wurde, wurde das nicht aufgelöste Treuhandvermögen in die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben überführt und ab 2008 unter anderem von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BiMA) verwaltet. Daran lässt sich der Wandel von staatlichen Wohnungs- und Gewerbebeständen zu privatisierten Immobilienbeständen sowie die zunehmende Funktion von Wohnraum als einer Art ‚Bank‘ für Vermögensvermittlung nachzeichnen. Die BiMA hat die ehemalige australische Botschaft 2010 privatisiert.
Auch die Umgebung um die Botschaft in Pankow ist jüngst in den Sog der ‚Immobilienpolitik‘ — nämlich, in eine neue Gentrifizierungsspirale — geraten. In seine Villen und Altbauten wurden in Wellen Exilanten aus benachbarten Gebieten wie Prenzlauer Berg, Wedding und Friedrichshain gespült. Das unersättliche Begehren der Hauptstadt nach Investitionswachstum führte dazu, dass eine Vielzahl von lokalen Aktivist*innengruppen gegen subventionierte Gebäudemodernisierungsprogramme und Mietsteigerungen kämpften, darunter die in Pankow ansässige Mieterpartei. Am anderen Ende des politischen Spektrums lässt sich die Tendenz des Bezirks in Richtung Alternative für Deutschland (AfD) bei den letzten Wahlen als Antwort auf die facettenreiche Geschichte Pankows lesen: Als eine der ethnisch homogensten Enklaven der Stadt ist der Bezirk besonders leicht anfällig für Fremdenfeindlichkeit. Jahrzehntelang beherbergte das Gebiet viele Regimetreue, die einst für die Linke stimmten und sich der anti-imperialistischen Agenda der DDR anschlossen. Wie Forschungsergebnisse bezeugen, haben sich viele von ihnen der AfD und ihrer Bricolage aus einem „Guten alten Zeiten“-Heimat-Phantasma und barschen Anti-Establishment-Ausschweifungen, verschrieben. Dem Erfolg der AfD sind kapitalismuskritische Anklänge entgegengesetzt, die die rechtsextreme Partei vor allem im ehemaligen Osten ausschlachtet. In wenigen Jahren hat sich das Parteiprogramm der AfD gewandelt: von einer nationalistischen Reaktion auf die Finanzkrise und die EU zu einer zunehmend hasserfüllten Politik als Gegenreaktion auf die hohen Asylantragszahlen vom Jahr 2015. Diese politische Verlagerung trieb frühe AfD-Wähler noch weiter nach rechts, während die Partei selbst neue Wählergruppen zu erschließen versuchte.
Die Komplexität von Pankow legt nahe, dass eine umfassende Analyse mehrere Dimensionen berücksichtigen muss, anstatt sich lediglich auf das eindimensionalen Stereotyp des fremdenfeindlichen Ossis zu stützen, auf das westlich-orientierten Analysten oftmals verweisen. Erstens muss bedacht werden, wie beide Staaten nach dem Krieg und der Spaltung Deutschland die Phantasien über den auf der jeweils anderen Seite der Mauer grassierenden Nazismus mobilisierten. Und zweitens muss die ungleiche Verteilung der Dividenden der Wiedervereinigung und die langjährige Kritik des Ostens an der nur scheinbaren Vereinigung von Kapitalismus und Demokratie mit bedacht werden. Letztlich muss drittens erwägt werden, wie die vorwiegend von Ökonomen vorgebrachte neoliberale Politikverdrossenheit, die alle politischen Fragen mit wirtschaftlichen Mitteln zu verdrängen sucht, als anti-politische Maßnahme die ostdeutsche Entfremdung von der parlamentarischen kapitalistischen Demokratie verstärkt hat. Diese Entpolitisierung des Wirtschaftssystems führt zusätzlich dazu, dass auf dem Terrain reaktionärer Politik eine Art ‚kultureller‘ Chauvinismus („Wir wollen deren Lebensweise hier nicht haben!“) in den Vordergrund rückt.
Darüber hinaus bleibt die Kulturpolitik Deutschlands gespalten. Die Menschen im Osten, denen es an kulturellem Einfluss mangelt, die von ihren Zentren entfernt sind, werden oft als ‚Provinzler‘ bezeichnet. Die scheinbar verlockend wirkende Linie der AfD zur Erlangung bestimmter Formen nationaler Souveränität — die in deren Verständnis durch die EU und die deutschen ‚Eliten‘ verloren wurde — zeigt sich hier in der Form einer völkische Phantasie über starke Grenzen, ethnischer Fixierung, direkte Demokratie und ökonomischer Restrukturierung. All dies soll dazu dienen, die ‚wahren‘ Deutschen zurück in die Zentren kultureller und politischer Macht zu stellen. Eine wahrhaft geeinte Gemeinschaft — so das Narrativ — kann nicht erlangt werden, solange ‚die Nation‘ nicht frei von islamischen und anderen Einflüssen ist. In den östlichen Regionen ist diese ohne Zweifel auch zum Teil ein fehlgeleiteter Versuch, ein Gefühl von gesellschaftlicher und politischer Ohnmacht zu überwinden — und dies bedeutet auch, die Kontrolle über die Immobilienentwickler*innen, Spekulant*innen und den Technokrat*innen zurückzugewinnen, die meist aus dem Westen kommen. Die Verfahren, die von solchen ‚Außenstehenden‘ eingeführt worden sind — so die Geschichte — scheinen ‚Newcomer‘ in jeder erdenklichen Form zu bevorzugen (sogenannte „Wirtschaftsmigrant*innen“, Weinstuben, Amerikaner*innen, Existenzgründer*innen usw.).
In diesem Zusammenhang scheinen Pankows gegenwärtige und alteingesessene Bewohner*innen, die der AfD nahestehen, von der Vereinnahmung durch den Kapitalismus, durch Immobilienspekulation, Privatisierung, erstickte Infrastrukturinvestitionen, „Arbeitsmarktliberalisierung“ im wiedervereinigten Deutschland und in Berlin — kurzum von Deutschlands und Berlins bescheidenen, aber ungleichverteilten realwirtschaftlichen Gewinnen in jüngster Zeit — ausgeschlossen worden zu sein. Im Kontext der ‚Immobilienpolitik‘ ist es unumgänglich daran zu erinnern, dass sich seit 1989 im Zuge einer Verschiebung der Regulierungsregime des Finanzsektors, die weltweit viel Geld in deutsche Banken und Vermögenswerte fließen ließ, eine tiefgreifende Finanzialisierung der Wirtschaft vollzogen hat. Deutschland mag Stolz mit behaupten — und von Außenstehenden darum beneidet werden — eine Nation von Mieter*innen und nicht Eigentümer*innen zu sein und als haushaltende Sparer*innen und nicht als verschwenderische Kreditnehmer*innen wahrgenommen zu werden. Aber auch hier in Berlin ist die ‚Immobilienpolitik‘ angekommen, so wie es die Logik von Raum und Eigentum im Kapitalismus verlangt: somit ist der Privatisierungsprozess, der im Jahr 1990 begann, abgeschlossen.
Während dieser Text entstand schien die ehemalige Botschaft bis vor Kurzem zu einer künftigen Existenz als Designer-Luxuseigentumswohnungen verdammt zu sein — jener Apotheose von zeitgenössischen Immobilien, jene wuchernden Vorzimmer erstarrter sozialer Beziehungen und ästhetischen ‚guten Geschmacks‘, jene bevorzugten Abstellplätze globalen Kapitals. Dass das Gebäude das Interesse der öffentlichen Hand geweckt hat und unter Denkmalschutz gestellt wurde, könnte etwas gegen dieses Schicksal ausrichten. Doch der Ausblick auf die Zukunft in Berlin verbleibt im besten Fall unsicher und im schlimmsten Fall öde. Langfristig kann diesen Entwicklungen nur durch ein alternatives Wirtschaftsprogramm Einhalt geboten werden. Kurzfristig werden Praktiken der Subversion, Besetzung und Hartnäckigkeit weiterhin noch anders angelegte Potentiale bewahren.
Ben Gook (AU/DE) ist Postdoktorand der Alexander-von-Humboldt-Stiftung an der Humboldt Universität Berlin. Er ist Honorary Fellow der School of Social and Political Sciences an der University of Melbourne. Er promovierte 2014 in Sozialtheorie und Kulturwissenschaften an der University of Melbourne. Er erforscht die zeitgenössische Politik, Wirtschaft und Kultur mit dem Fokus auf den gesellschaftlichen Wandel nach dem Fall der Berliner Mauer. Sein erstes Buch ist Divided Subjects, Invisible Borders: Re-unified Germany after 1989 (London: Rowman & Littlefield, 2015). Er hat auch über die australische Kultur geschrieben, darunter „Australian Postcolonial Trauma and Silences in Samson and Delilah“, Scars and Wounds: Trauma on Film in National and International Contexts, 2017) und “…With Ears for Landscape: Australian Soundscapes”, Crossings (2006). Sein Essay „Lest we Forget; Let us Forget“ (2013) antwortete auf Nothing to See Here von Amy Spiers und Catherine Ryan beim Underbelly Arts Festival in Sydney.