Australien und die DDR: Wahlverwandschaften
Peter Monteath (AU)
Auf den ersten Blick scheinen Australien und die Deutsche Demokratische Republik nicht viel gemeinsam zu haben. Geographisch sind sie eine halbe Welt voneinander entfernt. Politisch und ideologisch waren sie fest in ihren jeweiligen Bündnissystemen verankert, was ihnen als unabhängige Staaten kaum Handlungsspielraum gewährte. Die DDR wurde seit ihrer Gründung 1949 stark durch der Sowjetunion geprägt; Australiens mächtigste und dauerhafteste imperiale Beziehung bestand zu Großbritannien und ab dem Zweiten Weltkrieg wandte sich Australien auf der Suche nach politischer Absicherung zunehmend an die Vereinigten Staaten.
Aber es gab auch Verbindungspunkte zwischen Australien und der DDR. Als die Kolonisierung Australiens im späten 18. Jahrhundert begann und sich durch das 19. Jahrhundert hinweg beschleunigte, machten sich Deutsche aus verschiedenen deutschen Staaten auf den Weg zum „fünften Kontinent“. Sie spielten ihre Rolle in der Besiedlung und damit auch in der Enteignung der indigenen Bevölkerung.
In der Nazizeit machten sich deutsche Flüchtlinge auf den Weg ins ferne Australien. Als engagierte Antifaschisten haben einige von ihnen nach dem Krieg die Entscheidung getroffen, in den Teil ihrer Heimat zurückzukehren, der ein besseres, „anderes“ Deutschland zu repräsentieren schien. Einer von ihnen war der in Berlin geborene Walter Kaufmann, ein deutscher Flüchtling polnischer Herkunft, der 1940 nach Australien gekommen war, dort in einem australischen Internierungslager festgehalten wurde, bevor er sich freiwillig in der australischen Armee engagierte und sich 1957 in der DDR niederließ. Er wurde einer der bekanntesten Schriftsteller der DDR. Einige Jahre später folgte die gebürtige Berlinerin Salomea Genin, die 1939 mit ihren Geschwistern und polnisch-jüdischen Eltern nach Australien geflohen war und 1963 in die DDR zog.
Während Australien als politische Instanz älter war als die DDR — die Föderation der australischen Kolonien wurde 1901 gegründet —, waren sowohl Australien als auch die DDR 1949 noch Neulinge in den internationalen Beziehungen und der Diplomatie. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden die diplomatischen Beziehungen Australiens größtenteils von Großbritannien und seinen diplomatischen Vertretern in Australiens Namen geführt. Von ihrer Gründung bis zu ihrem Untergang blieb die DDR stark von ihren Beziehungen zur Sowjetunion abhängig. Beide hatten Probleme, ihre Unabhängigkeit in internationalen Angelegenheiten zu behaupten.
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Australien und die DDR traten zu einem ähnlichen Zeitpunkt in die Welt der Diplomatie ein und zwar mit dem Status von Kleinstaaten, die kleine Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Schnell wurde deutlich, welche Einschränkungen ihnen zur Zeit des Kalten Krieges auferlegt wurden. Beide hatten keine andere Wahl, als auf der jeweiligen Seiten des Eisernen Vorhangs ihre Plätze zu beziehen.
Australien dehnte am 28. Januar 1952 die offizielle diplomatische Anerkennung auf die Bundesrepublik Deutschland aus und gründete eine Botschaft in Bonn. In dieser Phase des Kalten Krieges gab es keine realistische Möglichkeit, diese Anerkennung auch auf die DDR auszudehnen. Die über zwei Jahrzehnte andauernde, offizielle Haltung der australischen Regierung wurde vom damaligen Außenminister Paul Hasluck im April 1965 zum Ausdruck gebracht:
‚… die selbsternannte „Deutsche Demokratische Republik“ wird von Australien und den anderen Westmächten nicht als Staat anerkannt. Das betreffende Gebiet ist unter der Kontrolle der Sowjetunion und ihrer Streitkräfte geblieben; es wurden keine freien Wahlen zugelassen und die in der Zone geschaffenen Institutionen haben keine durch den Willen der Bevölkerung erkennbare Grundlage. Das Gebiet wird immer noch als eine Zone unter sowjetischer militärischer Besatzung betrachtet, die keine nationale Souveränität oder Unabhängigkeit besitzt. Unter diesen Umständen ist die australische Regierung gemeinsam mit anderen westlichen Regierungen zu dem Schluss gekommen, dass die Anerkennung des Territoriums als Staat nicht in Frage kommt.‘
Da die offizielle diplomatische Anerkennung der DDR durch den australischen Staat „ausgeschlossen“ war, erkannten die australischen Behörden den Titel „Deutsche Demokratische Republik“ nicht an, erkannten DDR-Pässe nicht an und bestanden darauf, dass kein Australier im Dienst der australischen Regierung Kontakt zu einem Vertreter der DDR-Regierung aufnehmen solle.
Die DDR zeigte sich ihrerseits gegenüber Australien auf ähnlich Weise intolerant. Historisch betrachtet galt Australien als ein Produkt des britischen Kolonialismus; im Nachkriegskontext galt es als fest in ein imperialistisches, westliches Bündnis eingebunden, welches sich der Zerstörung des Sozialismus verschrieben hatte.
In Ermangelung einer Botschaft gab es eine Art australische Vertretung in Berlin, jedoch nicht in Ost-Berlin. Es handelte sich dabei um die Australische Militärmission, die seit Oktober 1945 beim gevierteilten Alliierten Kontrollrat akkreditiert war und zunächst im Olympiagelände im britischen Sektor von Berlin ansässig war. Später wurde sie in die Joachimstaler Straße und schließlich in das Europa-Center im Herzen von West-Berlin verlegt. Anfang 1948 übergab das Verteidigungsministerium die Verantwortung für die Militärmission an das australische Außenministerium. Eine der Aufgaben der Militärmission war es, Canberra über die Entwicklungen in der sowjetischen Besatzungszone, und späteren DDR, zu berichten. Die Mitglieder der Mission waren Zeugen der sich anbahnenden Teilung Berlins und der australischen Beteiligung an der Luftbrücke vom September 1948.
Während Australien die offizielle diplomatische Anerkennung der DDR ablehnte, konnten dennoch Beziehungen anderer Art gepflegt werden. Zwischen den beiden Ländern etablierte sich ein kleines Handelsvolumen und es fanden Besuche von Schriftsteller*innen, Gewerkschafter*innen, Kommunist*innen, Aktivist*innen und Akademiker*innen statt. Athlet*innen aus der DDR waren Teil der gesamtdeutschen Mannschaft, die 1956 an den Olympischen Spielen in Melbourne teilnahm.
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Durch die Politik des Kalten Krieges gab es Ende der 1960er Jahre nur 30 Staaten, die die DDR offiziell anerkannt hatten, die meisten davon im Sowjetblock und im Nahen Osten. Die DDR wünschte sich eine viel größere internationale Anerkennung. Australien seinerseits versuchte, seine Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu Staaten jenseits des Commonwealth auszubauen und betrachtete den Sowjetblock als ein Gebiet mit beachtlichem Potenzial. Die DDR galt als vielversprechender Partner, da sich die Produktionsstärke der DDR ideal mit Australiens Rohstoffvermögen zu ergänzen schien.
Abseits der Ebene offizieller Regierungskontakte suchten beide Seiten nach Möglichkeiten, ihre Beziehungen auszuweiten. So schrieb die Außenhandelskammer der DDR 1965 an die Associated Chambers of Commerce of Australia (ACCA), um zu erfragen, ob die Gründung eines Handelsbüros in Australien möglich wäre. Diese Frage wurde über einen längeren Zeitraum hinweg von den australischen Behörden diskutiert, da sie versuchten, die politische Maxime der Zurückhaltung der offiziellen Anerkennung der DDR mit dem wirtschaftlichen Gebot der Ausweitung des australischen Handels zu vereinbaren. Schließlich wurde vereinbart, dass ein Handelsbüro in Sydney unter den Bedingungen eingerichtet werden kann, gesetzt den Bedingungen, dass es als eine in Australien registrierte Privatgesellschaft („KfA Limited“ genannt) geführt wird, dass es keinen direkten Kontakt zu einem Organ der australischen Regierung haben darf und dass es keine von der Regierung nicht genehmigten Abzeichen tragen darf. Ein Vertreter der DDR-Außenhandelskammer kam schließlich Mitte 1970 nach Sydney, um das Büro einzurichten. In der Zwischenzeit hatten sich die Australier darauf geeinigt, dass ein australischer Handelsbeamter mit einem diplomatischen oder offiziellen Reisepass regelmäßig nach Ost-Berlin – nicht aber in die übrige DDR – reisen sollte, so wie Mitglieder der australischen Militärmission.
Zu dieser Zeit erlebten die Verhältnisse in Europa und der ganzen Welt eine seismische Verschiebung. Die Brandt-Regierung in der Bundesrepublik Deutschland „normalisierte“ die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten. Nach den Grundsätzen von Brandts Ostpolitik verzichtete die BRD auf die sogenannte „Hallstein-Doktrin“, die festlegte, dass die BRD mit keinem Staat, der die DDR anerkannte, diplomatische Beziehungen unterhalten würde. Dem Viermächte-Abkommen von 1971, das die Beziehungen zwischen den beiden Teilen Berlins regelte, folgte 1972 die Unterzeichnung des Grundlagenvertrags, in dem sich die beiden deutschen Staaten zur gegenseitigen Anerkennung und Achtung ihrer Souveränität verpflichteten. Dies eröffnete Ländern auf der ganzen Welt — darunter auch Australien — die Möglichkeit, die DDR ohne Folgen für ihre Beziehungen zur BRD oder anderen Verbündeten anzuerkennen.
Auch in Australien änderte sich das politische Klima. Nach 23 Jahren konservativer Führung wurde im Dezember 1972 eine Labour-Regierung unter der Leitung von Gough Whitlam gewählt. Whitlam war im Gegensatz zur vorherigen Regierung bereit ein höheres Maß an Unabhängigkeit in der australischen Außenpolitik zu behaupten. Schon bald nach seinem Amtsantritt ersuchte er Möglichkeiten der offiziellen diplomatischen Anerkennung der DDR. Dabei beobachtete er die Entwicklungen in Europa sehr genau und wartete insbesondere auf die Unterzeichnung des Grundlagenvertrags. Als diese abgeschlossen war, arrangierte Whitlam die offizielle diplomatische Anerkennung der DDR, die sich am 22. Dezember vollzog. Er tat dies vor Großbritannien und den Vereinigten Staaten und ohne deren Zustimmung.
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Mit der gegenseitigen Anerkennung planten beide Staaten die Einrichtung von Botschaften in den jeweiligen Hauptstädten. Als auch die Anerkennung der DDR durch andere Staaten plötzlich zunahm, erlebte Ostberlins „Diplomatenviertel“ Pankow ein rasantes Wachstum. Für die australische Botschaft wurde ein geeigneter Standort in der Grabbeallee 34 gefunden und ein architektonischer Entwurf gewählt.
Nach ihrer Fertigstellung 1975 gehörten zu den Besuchern der Botschaft auch die wenigen in der DDR lebenden Australier. Einer von ihnen war der Anthropologe Fred Rose. Geboren 1915 in London als Sohn politisch konservativer Eltern, begann sich Rose während seines Studiums am „roten“ Cambridge in den 1930er Jahren und durch seine Auseinandersetzung mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise im Vereinigten Königreich politisch nach links zu orientieren.
Die politischen Ansichten von Rose radikalisierten sich weiter nachdem er in Cambridge graduierte und 1937 nach Australien zog. Während seiner Feldforschung in verschiedenen Teilen Nordaustraliens sammelte er direkte Erfahrungen mit der Vernachlässigung und Ausbeutung indigener Australier. In Broome im Nordwesten Australiens lernte er einen Arzt kennen, Alec Jolly, der ihn in die marxistische Anthropologie einführte und Rose schließlich dazu überredete, der Kommunistischen Partei Australiens (CPA) beizutreten, was er 1942 in Perth tat.
Obwohl Rose Anthropologie studiert hatte, arbeitete er damals als Meteorologe — eine Tätigkeit, die ihn mit indigenen Australier*innen in Kontakt brachte und es ihm ermöglichte, Studien in einer Reihe von abgelegenen Gemeinden zu unternehmen; seine einflussreichste Arbeit führte er unter den Anindilyakwa von Groote Eylandt im Northern Territory durch. Mit der Zeit wurde Rose zu einem Experten der CPA in Bezug auf Aborigine-Angelegenheiten. Für Rose bedeutete dies nicht nur ein materialistisches Verständnis der Aborigines und ihrer Kultur zu entwickeln, sondern auch die verheerenden Auswirkungen ihrer Enteignung und der Förderung indigener Bürger- und Landrechte anzuerkennen.
Nachdem sich der sowjetischen Spion Vladimir Petrov im Jahr 1954 nach Australien lossagte, wurde Rose beschuldigt, die sowjetische Spionage in Australien unterstützt zu haben und musste vor einer königlichen Kommission erscheinen. Die australischen Sicherheitsbehörden, allen voran die Australian Security Intelligence Organisation (ASIO), hatten Rose und seinen Bekanntenkreis mehrere Jahre lang intensiv beobachtet. 1956 zog Rose in die DDR, wo er als Anthropologe an die Humboldt-Universität ging und seine junge Familie mit seiner in Deutschland geborenen Frau Edith Linde, der Tochter des antifaschistischen Juristen Richard Linde, aufzog. Wann immer er die Möglichkeit hatte, kehrte er nach Australien zurück um weitere Feldforschung zu betreiben und sich für die Rechte der Indigenen einzusetzen.
Ab den 1960er Jahren und später bis zum Bestand der australischen Botschaft, arbeitete Rose als „inoffizieller Mitarbeiter“ für das Ministerium für Staatssicherheit, die Stasi. Er erhielt den Decknamen „Aust“. Eine seiner Aufgaben war es, die Botschaft in Pankow zu besuchen und die Stasi über das Gebäude selbst und die Ereignisse im Inneren zu beraten; zudem ermöglichte es ihm sein britischer Pass, Informationen über Besuche in West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland zu sammeln. Als der ehemalige Ministerpräsident Gough Whitlam 1976 die DDR besuchte, begleiteten ihn Fred und Edith Rose zu einem Besuch in der Staatsoper in Berlins zentraler Prachtstraße Unter den Linden.
Rose freundete sich mit dem australischen Botschafter Malcolm Morris an, dem ersten Botschafter, der in Ost-Berlin lebte und in der Botschaft in der Grabbeallee arbeitete. Roses Besuche beim Botschafter und in der Botschaftsbibliothek ermöglichten es ihm, detaillierte Pläne der inneren Räumlichkeiten des Gebäudes zu erstellen und diese an die Stasi weiterzugeben. Rose blieb in der DDR bis zu ihrem Zusammenbruch; er starb 1991 mit einem ungebrochenen Glauben an den Sozialismus und seinem Engagement für indigene Rechte.
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Trotz guter Absichten auf beiden Seiten blieb das Arbeitsvolumen der australischen Botschaft in Pankow gering. Der Handel zwischen den beiden Staaten ging weiter, erreichte aber nicht das auf beiden Seiten erhoffte Niveau. Infolgedessen wurde die Botschaft am 19. Dezember 1986 geschlossen, woraufhin die Vertretung durch den in Warschau ansässigen Botschafter fortgesetzt wurde.
Die Australische Botschaft in der Deutschen Demokratischen Republik, sichtbarer Ausdruck der Beziehungen zwischen zwei Staaten, bestand somit nur elf Jahre. Die Hoffnung, die in ein Gebäude investiert wurde, dessen architektonische Form eine bessere Zukunft zu versprechen schien, ohne von einer Vergangenheit belastet zu sein, war von kurzer Dauer. Die kurze Geschichte der Botschaft erinnert uns daran, dass internationale Angelegenheiten selten das sind, was sie vorzugeben scheinen. Die Beziehungen zwischen Australien und der DDR bestanden in einer gewissen Form vor der formalen Anerkennung und vor dem Bau der Botschaft; sie wurden fortgeführt, nachdem ihre Türen geschlossen wurden und endeten erst mit dem Untergang der DDR selbst. Wie der Fall von Fred Rose außerdem veranschaulicht, war nicht alles, was sich in der Botschaft abspielte, transparent. Botschaften haben ihre Geheimnisse, alle operieren im Raum zwischen dem, was gesagt wird und dem, was verschwiegen bleibt.
Quellenauswahl
Cornelia Dörries, Florian Bolk, Australische Botschaft Berlin, Berlin: Stadtwandel, 2006.
Salomea Genin, Ich folgte den falschen Göttern, 2nd, revised edition, Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg, 2012.
Walter Kaufmann, Im Fluss der Zeit, Berlin: Dittrich Verlag, 2010.
Peter Monteath, ‚Die DDR und Australien‘, Zeitschrift fur Geschichtswissenschaft, 60, 2 (2012) 146-168.
Peter Monteath and Valerie Munt, Red Professor: The Cold War Life of Fred Rose, Adelaide: Wakefield, 2015.
Wolfgang Schäche, Die australische Botschaft in Berlin, Berlin: Braun, 2003.
Jürgen Tietz and Kerstin Englert, Botschaften in Berlin, Berlin: Mann, 2004.
Peter Monteath ist Professor für Geschichte an der Flinders University in Adelaide. Er lehrte an der University of Queensland, der Deakin University, der University of Western Australia, der University of Adelaide und der Flinders University. Außerdem war er Gastprofessor an der University of St. Louis Missouri und der Technischen Universität Berlin, wo er Alexander-von-Humboldt Fellow war. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der deutschen und australischen modernen Geschichte und in den Verbindungen zwischen beiden. Sein bekanntestes Buch ist POW: Australian Prisoners of War in Hitler’s Reich (Sydney 2011). Im Jahr 2015 veröffentlichte er zusammen mit der Co-Autorin Valerie Munt eine Biographie des Anthropologen Fred Rose unter dem Titel Red Professor: The Cold War Life of Fred Rose. Das Buch, das auf umfangreichen Arbeiten in australischen und deutschen Archiven basiert, wurde 2016 für den Geschichtspreis des Premierministers nominiert. Derzeit lehrt und forscht Peter Monteath an der Flinders University und ist Präsident des History Council of South Australia.